In Niedersachsen fehlen 700 Betreuungsplätze für erwachsene behinderte Menschen mit herausforderndem Verhalten.
Was verstehen wir unter herausfordernden Verhaltensweisen?
Herausforderndes Verhalten ist ein Verhalten von solcher Intensität, Häufigkeit und Dauer, dass die körperliche Unversehrtheit des Menschen oder Anderer möglicherweise gefährdet wird. Für die Betreuung von behinderten Menschen mit herausforderndem Verhalten (selbst- und fremd-gefährdendes Verhalten) ist ein besonders hoher Personaleinsatz erforderlich. Die existierenden Betreuungsplätze in den Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sind nicht auf die speziellen Anforderungen dieser Personengruppe ausgelegt. Für die Betreuung der Menschen mit herausforderndem Verhalten ist ein Personalschlüssel von 1:1 oder höher erforderlich. Dies wird durch die aktuellen Finanzierungssätze des Landes nicht abgedeckt.
Bereits jetzt ist die Regelfinanzierung der Betreuungsplätze in den Einrichtungen des Landes Niedersachsen nicht ausreichend. Zurzeit gibt es ein System der sogenannten Mischfinanzierung. Hier wird davon ausgegangen, dass durch eine bestimmte Zahl von Fällen mit wenig Betreuungsbedarf ein finanzieller Ausgleich zu den Fällen mit besonders hohem Betreuungsbedarf eintritt. Dies entspricht nicht mehr den tatsächlichen Realitäten innerhalb der Betreuungseinrichtungen. Aufgrund des Mangels an geeigneten Betreuungsplätzen werden in der Regel ausschließlich Menschen mit sehr hohem Betreuungsaufwand in stationären Einrichtungen versorgt, so dass ein „finanzieller Überschuss" aus einfachen Betreuungsfällen nicht existiert. Die zusätzliche Aufnahme von behinderten Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen mit ihren extrem hohen Anforderungen ist von keinem Träger einer Wohneinrichtung refinanzierbar.
Es existiert zwar eine gesetzliche Aufnahmeverpflichtung, diese geht aber an der Realität der erwachsenen behinderten Menschen mit herausforderndem Verhalten vorbei. Die gesetzliche Aufnahmeverpflichtung für Betreuungseinrichtungen greift in der Regel schon deshalb nicht, da es keine freien Plätze gibt, bzw. diese an behinderte Menschen vergeben werden, deren Betreuung durch die Einrichtungen auch leistbar ist.
Aufgrund der besonderen Herausforderungen bestünde zudem ein enormes Gefährdungspotential für andere Bewohner. Um einer Gefährdung vorzubeugen, braucht es besonderer baulicher Voraussetzungen. Zur Gewährleistung einer sicheren Umgebung müssten Betten und Möbel verankert werden, zudem bräuchte es noch Sicherheitsglas und ähnliche Installationen. Diese besonderen baulichen Gegebenheiten sind in den meisten Einrichtungen nicht vorhanden. Notwendige Umbauten sind schwer zu finanzieren. Außerdem könnte es zu einer unrechtmäßigen Einschränkung der Freiheit von anderen Mitbewohnern in der betreffenden Einrichtung kommen, was entsprechend berücksichtigt werden muss.
Aufgrund der oben geschilderten Situation ist eine Unterbringung dieser Personengruppe in einer betreuten Wohnform nahezu unmöglich. In der Folge sind Eltern oder betreuende Angehörige gezwungen, ihre beeinträchtigten erwachsenen Kinder bei sich zuhause zu betreuen. Dies führt zu einer extremen Belastungssituation der Eltern oder betreuenden Angehörigen und entspricht nicht den Zielen, die in der Eingliederungshilfe geregelt sind. Eltern haben weder die Ausbildung noch mit zunehmendem Alter die Ressourcen, um sich um ihre erwachsenen beeinträchtigten Kinder mit herausforderndem Verhalten zu kümmern.
Darüber hinaus entstehen in diesen Betreuungssettings oft extrem gefährlichen Situationen für die Eltern oder betreuenden Angehörigen, so dass teilweise ganztägig Sicherheitsdienste im häuslichen Umfeld eingesetzt werden müssen. Solch ein Personaleinsatz verursacht im Vergleich zu einer adäquat finanzierten stationären Unterbringung unverhältnismäßig hohe Kosten. Zusätzlich werden die Eltern aufgrund der Situation mit ihren erwachsenen behinderten Kindern vollständig vom sozialen Leben ausgeschlossen. Der Zeitaufwand der Betreuung ihres behinderten Kindes ist so hoch und mit einer so enormen Anstrengung verbunden, dass eine soziale Teilhabe oft nicht mehr möglich ist.
Der hohe Betreuungsaufwand hat auch Einfluss auf die Berufstätigkeit der Eltern oder betreuenden Angehörigen und ein Abrutschen in die sozialen Sicherungssysteme (Bürgergeld, Grundsicherung) ist oft die Folge. Wenn in dieser Häuslichen Situation noch Geschwisterkinder leben, besteht zudem die Gefahr einer möglichen Kindeswohlgefährdung der Geschwister. Diese können zum Teil ihr Zimmer nicht verlassen, ohne in gefährliche Situationen in der Wohnung zu geraten. Während die erwachsenen beeinträchtigten Kinder mit herausforderndem Verhalten ein hohes Maß an Aufmerksamkeit der Eltern fordern, können Eltern ihre Zuwendung nicht gleichmäßig auf alle verteilen, so geraten Geschwisterkinder oftmals in die Vernachlässigung.
Hier ist den auch die Rede von Schattenkinder. So werden Geschwisterkinder bezeichnet, die im Schatten ihrer chronisch kranken oder behinderten Geschwister stehen. Diese erhalten mehr Aufmerksamkeit der Eltern, die gesunden Geschwister müssen dagegen an Aufmerksamkeit und Zeit zurückstecken.
Das Problem der fehlenden Betreuungsplätze für erwachsene, behinderte Menschen mit herausforderndem Verhalten muss jetzt gelöst werden! Immer mehr Eltern sind aufgrund dieser übermäßigen Belastung nicht mehr in der Lage, eine adäquate Betreuung sicherzustellen.
Wir fordern: